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Gewebekultur und Mikrovermehrung von Cannabis: umfassender Leitfaden für Anfänger und Profis

  • botafarmseedbank
  • 19. Aug.
  • 4 Min. Lesezeit





Einleitung



Cannabis ist eine komplexe und faszinierende, aber auch empfindliche Pflanze. Züchter auf der ganzen Welt stehen ständig vor Herausforderungen: Viren (wie HLVD), Krankheitserreger, genetische Abweichungen, nachlassende Vitalität von Mutterpflanzen und instabile Stecklinge. In den letzten Jahren hat eine Technik, die früher nur Universitätslaboren oder Agrarriesen vorbehalten war, Einzug in die Welt des Cannabis gehalten: die Pflanzengewebekultur, auch Mikrovermehrung genannt.


Mit dieser Methode kann aus einem winzigen Pflanzenfragment die Produktion von Hunderten oder sogar Tausenden identischer, gesunder und kräftiger Klone erfolgen. Im Gegensatz zu einem einfachen Steckling bietet die Mikrovermehrung die Möglichkeit, Krankheitserreger zu eliminieren, seltene Sorten über Jahre in kleinen Röhrchen zu konservieren und schnell eine Elite-Genetik zu vermehren, ohne sie zu verschlechtern.


In diesem Artikel werden wir die Grundlagen, die einzelnen Schritte, die Hormone (PGR), die Vorteile und die Grenzen der Gewebekultur bei Cannabis im Detail beleuchten. Egal, ob Sie Anfänger oder erfahrener Züchter sind – dieser Leitfaden vermittelt Ihnen ein klares und vollständiges Bild dieser revolutionären Methode.




1. Grundlagen der Gewebekultur



Die Pflanzengewebekultur beruht auf einem einfachen Prinzip: Alle Zellen einer Pflanze enthalten den vollständigen genetischen Code, um eine ganze Pflanze zu regenerieren. Indem man im Labor die richtigen Wachstumsbedingungen (Nährstoffe, Hormone, Sterilität) nachbildet, kann man einen kleinen Gewebeteil „umprogrammieren“, sodass er eine neue vollständige Pflanze hervorbringt.


Für den Erfolg sind vier Säulen entscheidend:


  1. Eine sterile Umgebung: Kontamination ist der größte Feind. Geräte und Nährmedien, die reich an Zucker sind, sind ein Paradies für Pilze und Bakterien. Deshalb arbeitet man in einer Still-Air-Box oder idealerweise unter einer Laminar-Flow-Haube.

  2. Ein Nährmedium (MS-Medium): liefert Mineralien, Vitamine und Spurenelemente, die für das Wachstum notwendig sind.

  3. Ein Geliermittel (Agar oder Gelzan): verleiht dem Medium eine feste Konsistenz, damit das Explantat an Ort und Stelle bleibt.

  4. Pflanzenwachstumsregulatoren (PGRs): steuern, ob die Pflanze Triebe, Wurzeln oder Kallus bildet.



Diese vier Elemente interagieren, um künstlich die Signale nachzubilden, die die Pflanze in ihrer natürlichen Umgebung erhalten würde.




2. Die wichtigsten Schritte der Mikrovermehrung von Cannabis



Die Mikrovermehrung folgt einem präzisen Zyklus. Jeder Schritt ist entscheidend, um Kontaminationen zu vermeiden und das Wachstum gezielt zu steuern.



a) Initiation



Alles beginnt mit der Auswahl eines Explantats: ein kleiner Gewebeteil, meist ein Knoten oder ein Apex, der von einer gesunden Mutterpflanze entnommen wird. Dieses Explantat wird durch eine Reihe von Bädern sterilisiert (Leitungswasser, 70 % Alkohol, verdünnte Bleichlösung, Spülungen mit sterilem Wasser).


Nach der Sterilisation wird es in ein Glas oder Röhrchen mit einem Basisnährmedium gesetzt, das leicht mit Hormonen angereichert ist, um das Wachstum zu starten.



b) Multiplikation (shoot proliferation)



In dieser Phase geht es darum, mehrere Triebe aus einem einzigen Explantat zu erzeugen. Dafür verwendet man Cytokinine, die die Zellteilung und die Bildung von Trieben anregen.


Das Ziel ist ein Cluster aus kleinen Trieben, die anschließend getrennt und in neue Gläser verpflanzt werden können. Bei jedem Zyklus kann die Vermehrung exponentiell verlaufen.



c) Bewurzelung



Die gebildeten Triebe müssen ein Wurzelsystem entwickeln. Dazu werden sie auf ein Medium mit Auxinen übertragen, den Hormonen, die für die Wurzelbildung verantwortlich sind.


Eine gute Bewurzelung ist unerlässlich, bevor die Akklimatisierung beginnt, da eine Pflanze ohne stabiles Wurzelsystem kaum überleben kann.



d) Akklimatisierung



Dies ist oft der heikelste Schritt. In vitro kultivierte Pflanzen sind an künstliche Bedingungen gewöhnt: hohe Luftfeuchtigkeit, mildes Licht, keine Krankheitserreger.


Wenn sie das Glas verlassen, müssen sie sich schrittweise an die „reale Welt“ anpassen. Das bedeutet: langsame Senkung der Luftfeuchtigkeit, Erhöhung der Lichtintensität und allmähliche Exposition gegenüber normaler Luft.




3. Die zentrale Rolle der Hormone (PGR)



Pflanzenwachstumsregulatoren (PGRs) sind das eigentliche Steuerinstrument der Gewebekultur. Ohne sie überlebt das Explantat lediglich im Nährmedium. Mit ihnen kann man die Pflanze gezielt zur Triebvermehrung, Bewurzelung oder vollständigen Regeneration lenken.



Cytokinine



Beispiele: Kinetin, BAP (Benzylaminopurin), TDZ (Thidiazuron).


  • regen die Zellteilung an

  • fördern die Triebvermehrung

  • halten Gewebe jung




Auxine



Beispiele: IBA (Indol-3-Buttersäure), NAA (Naphthalinessigsäure), IAA (Indol-3-Essigsäure).


  • fördern die Wurzelbildung

  • können Kallusbildung auslösen

  • spielen eine Rolle in der Morphogenese




Verhältnis Auxin/Cytokinin



  • mehr Cytokinin = Triebvermehrung

  • mehr Auxin = Wurzelbildung

  • ausgeglichenes Verhältnis = Kallusbildung (Basis für Regeneration)





4. PGR: Sicherheit und Risiken



Nicht alle PGRs sind gleich sicher.


  • Kinetin und IBA gelten als relativ sicher. Sie werden sogar in der klassischen Gartenbaupraxis eingesetzt.

  • BAP ist wirksam, muss aber vorsichtig gehandhabt werden.

  • TDZ ist extrem stark, aber auch gefährlich: Es ist bekannt dafür, die Blut-Hirn-Schranke allein durch Hautkontakt überwinden zu können. Daher sollte es nicht in Privatlaboren oder im Haushalt gelagert werden.



Bewährte Sicherheitsmaßnahmen:


  • Handschuhe und Schutzbrille tragen

  • in einem belüfteten Raum arbeiten

  • PGRs getrennt von Lebensmitteln lagern, idealerweise in einem eigenen Minikühlschrank





5. Vorteile der Mikrovermehrung von Cannabis



  • Eliminierung von Krankheitserregern: durch Entnahme eines Meristems (Wachstumszone) können Viren wie HLVD entfernt werden.

  • Massive Vermehrung: aus einem einzigen Explantat lassen sich innerhalb weniger Zyklen Hunderte Pflanzen erzeugen.

  • Konservierung von Elite-Genetiken: Pflanzen können in Röhrchen „eingefroren“ werden und über Jahre ohne Vitalitätsverlust erhalten bleiben.

  • Einheitlichkeit: alle Pflanzen aus demselben Explantat sind identisch – ideal für die kommerzielle Produktion.

  • Platzersparnis: Hunderte Pflanzen können auf einem einfachen Regal gelagert werden.





6. Grenzen und Herausforderungen



  • Technische Ansprüche: erfordert präzises Arbeiten, Sterilität und Protokolltreue.

  • Anfangskosten: ein DIY-Setup ist für rund 200 € möglich, professionelle Anlagen kosten jedoch Tausende Euro.

  • Mutationsrisiko: unsachgemäße Verwendung von PGRs kann genetische Abweichungen verursachen.

  • Heikle Akklimatisierung: viele Verluste entstehen beim Übergang vom Glas ins Gewächshaus.





7. Vereinfachtes Protokoll für Cannabis



  1. MS-Medium vorbereiten (4,4 g/L MS-Pulver + 30 g/L Zucker + 6–8 g/L Agar, pH 5,7).

  2. Hormone je nach Stadium hinzufügen:


    • Initiation: MS + 0,1 mg/L Kinetin

    • Multiplikation: MS + 0,5 µM TDZ oder 0,2 mg/L BAP

    • Bewurzelung: MS + 0,5 mg/L IBA


  3. Medium sterilisieren (Autoklav oder Schnellkochtopf).

  4. Explant vorbereiten: Leitungswasser 15 min → 70 % Alkohol 1 min → 2 % Bleichlösung 20 min → Spülungen mit sterilem Wasser.

  5. Explant in das sterile Medium unter Still-Air-Box setzen.

  6. Alle 3–4 Wochen subkultivieren, um die Vermehrung aktiv zu halten.

  7. Pflänzchen schrittweise im Gewächshaus akklimatisieren (Feuchtigkeit senken, Licht erhöhen).





Fazit



Die Gewebekultur und Mikrovermehrung von Cannabis sind nicht nur eine wissenschaftliche Spielerei – sie sind unverzichtbare Werkzeuge für die Zukunft der Branche. Sie ermöglichen es, bedrohte Sorten zu erhalten, virusfreie Klone zu produzieren und Elite-Genetiken schnell und effizient zu vermehren.


Für Anfänger ist es ein spannendes Abenteuer, das zwar Disziplin erfordert, aber auch im kleinen Maßstab begonnen werden kann. Für Profis ist es ein Standard, der Qualität und Beständigkeit ihrer Kulturen sichert.


Cannabis tritt in ein neues Zeitalter ein: eines, in dem Wissenschaft und Anbau Hand in Hand gehen, um gesündere, stabilere und leistungsfähigere Pflanzen hervorzubringen als je zuvor.


ree

 
 
 

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